Der Kompromiss hat heutzutage in der Politik keinen guten Ruf. Er steht im Verdacht, von Menschen erzielt zu werden, deren Merkmale Schwäche und Nachgiebigkeit, statt Stärke, Haltung und Durchsetzungskraft sind. Eva Menasse nennt aber den echten Kompromiss, unter Bezug auf den Philosophen Avishai Margalit, die Königsdisziplin der politischen Kunst.* Kompromisse erwüchsen aus einer Zusammenarbeit, gegen die sich erst einmal alles sträubt, sagt sie. Ein Kompromiss ist nur dann möglich, so meine ich, wenn der Gegner resp. die Person, welche die gegnerische Haltung repräsentiert, letzlich als Persönlichkeit respektiert wird und dem man im Verlaufe des Prozesses der Annäherung zutraut, sich auch im entsprechenden gegnerischen Lager durchzusetzen. Kompromissfähigkeit bedeutet auch zu akzeptieren, dass der Andere eine diametral andere Ansichten vertritt und trotzdem kein Verbrecher ist.
Um konkret zu werden: Unter den staatlichen Gremien ist es in einer Mehrparteienregierung Aufgabe und Verantwortung der Exekutiven aller Stufen, tragfähige Lösungen zu erziehen. Es versteht sich und es ist auch richtig,, dass jeder aufgrund von Fakten und politischer Haltung versucht, ja darum kämpft, für seine Meinung eine Mehrheit im Gremium zu erzielen. Die Art und Weise der Auseinandersetzung hat jedoch auf Argumentationen zu basieren, und die Tonalität hat korrekt und höflich zu sein. In einer Zeit, da die Linke und die Rechte sich in der Schweiz immer radikaler positionieren, ist das Verhältnis des einzelnen Regierungsmitglieds zum Gesamtrat einerseits und zu seiner Partei besonders zu überdenken. Es schwächt den Bundesrat als Gesamtgremium, wenn die im Bundesrat vertretenen Parteien faktisch Oppositionen zum Bundesratsgremium bilden, wie es heute immer wieder der Fall ist. Denn es hat für dringend notwendige Lösungen Stillstand zur Folge, weil der Bundesrat längst notwendige Lösungen vertagt und nicht entscheidet resp. weil die Vertreter der Polparteien unheilige Allianzen bilden und aus unterschiedlichen Gründen eine Vorlage bekömpfen und Mehrheiten erzielen. Dadurch leidet das Ansehen des Bundesrates und der Politik insgesamt. Der Politologe Adrian Vatter schlägt u.a. einen Konkordanzvertrag durch den Bundesrat vor, zu dem sich die Bundesratsparteien öffentlich verpflichten, wenn auch nicht in einem rechtlichen Sinne. Die drei wichtigsten Ziele in der Legislatur seien festzulegen.
Man soll es probieren. Das Ziel wäre gut, jedoch mir fehlt der Glaube, dass die beiden Polparteien da mitwirken. Erst recht würde ein Koalitionsvertrag entsprechend der deutschen Regierungen keine Akzeptanz finden - denn er würde mehr Verbindlichkeit der Regierungsentscheide erzielen. Im Vordergrund steht derzeit immer noch nur die Wahl von Persönlichkeiten in den Bundesrat, die klare Haltungen vertreten, aber auch in der Lage und willens sind, mit Kolleginnen und Kollegen einen Weg aus Blockaden zu finden. Das wäre letztlich wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer sprachlichen Ethnie, zu einem Kanton und einem Geschlecht.
* Eva Menasse, Gedankenspiele über den Kompromiss", Literaturverlag Droschl 2020